Die Energiekrise zwingt die Bundesregierung, wieder auf Kohle zu setzen, LNG-Terminals werden im Eilverfahren aufgebaut und Atomkraftwerke laufen weiter. Dabei liegt eine naheliegende Antwort auf die derzeitigen Krisen in der Formulierung und Umsetzung abgestimmter kommunaler Klimaschutzkonzepte, meint Sven Neldner, Deutschlandchef von Entrnce, in seinem Standpunkt. Bund und Länder seien in der Pflicht, ein Kompetenzzentrum für die regionale Energiewende auf den Weg zu bringen.
Kommunen können ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen, auch im Bereich Energie – und das sogar kurzfristig. Ein Beispiel: Die Gemeinde Marienthal hat nach den Verwüstungen im Ahrtal im Juli letzten Jahres nicht lange auf die schleppenden Prozesse des Bundes und der Länder gewartet, sondern eigens Initiative ergriffen. Die 104 Einwohner:innen des beschaulichen Weinbergdorfs haben sich nach der Flutkatastrophe von der Versorgung mit fossilen Brennstoffen losgesagt und mit Hochdruck am Aufbau einer auf erneuerbaren Energien basierenden Infrastruktur gearbeitet.
Vor der Flut setzte nahezu das gesamte Dorf auf Öl und Gas, doch binnen eines Jahres haben die Bewohner:innen den vollständigen Umstieg erfolgreich bewerkstelligt. Die Kosten belaufen sich unter Hinzuziehung der Förderung des Bundes, EU-Zuschüssen sowie Spendengeldern auf zirka 5000 Euro pro Haushalt. Diese finanziellen Anreize sind strategisch sinnvoll platziert: Der konsequente Umstieg auf EE bis 2050 spart global mindestens zwölf Billionen US-Dollar ein, wobei sich über kommunale Projekte die Emissionen in Deutschland um mehr als ein Drittel senken lassen.
Leuchtturmprojekte wie dieses verdeutlichen eindrücklich, was in Deutschland mit Engagement und Kompetenz in Sachen Energieunabhängigkeit und Klimaschutz möglich ist. Von den mit solchen Erfolgsgeschichten einhergehenden Erfahrungswerten können und sollten Kommunen, Gemeinden und Quartiere in ganz Deutschland profitieren. Ein durch Bund, Länder und Kommunen ins Leben gerufenes Kompetenzzentrum für die regionale Energiewende wäre dafür wichtig. Es bietet das notwendige Forum, um konsequente Schritte einzuleiten, die sich auch an einem längeren Zeithorizont orientieren.
Ein genauerer Blick auf Deutschlands Bemühungen beim Klimaschutz führt jedoch das Bild eines Flickenteppichs unweigerlich vor Augen. Trotz fortschreitender Digitalisierung und Vernetzung agieren Bund, Länder und Gemeinden in vielen Fällen noch völlig losgelöst voneinander. Zwar entstehen auf lokaler und kommunaler Ebene vielerorts herausragende Erfolgsgeschichten und Praxisbeispiele, doch bleibt aufgrund des fehlenden Austauschs enormes Potenzial weiterhin ungenutzt.
Krise schärft Bewusstsein für Erneuerbare
Die Ausgangslage: Angesichts teurer Energie, anhaltender Extremwetter und eines – auch durch den Krieg in der Ukraine – geschärften Problembewusstseins baut die Energiewende zunehmend Momentum auf. Die Anerkennung des EE-Ausbaus als die zentrale Antwort auf den Klimawandel ist in breiten Teilen der Bevölkerung längst gegeben. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass Bund und Länder die Kommunen im Zuge des beschlossenen Beschleunigungspaketes für EE in die Verantwortung nehmen und diese mit der finanziellen Beteiligung auch für ambitioniertes Vorgehen belohnen wollen (siehe Marienthal).
Noch sind die Aufwendungen allerdings nicht ausreichend. Wichtig wäre, die kommunale Finanzausstattung durch die verantwortlichen Länder aufzustocken. Zu einem zukunftsfesten Rüstzeug gehören Ressourcen, die Klimaneutralität ermöglichen können: Das schließt die Stärkung der strategischen, personellen und kommunikativen Dimension ebenso ein, wie die Möglichkeiten sich mit anderen Kommunen zu vernetzen, gemeinsam zu lernen und von einem erweiterten (digitalen) Instrumentenkasten zu profitieren. Ohne gestärkte Kommunen droht die Bundesrepublik ihren internationalen Vorbildcharakter einzubüßen.
Was die Kommunen noch zurückhält
Kommunen und Gemeinden sind schon jetzt zentrale Akteure der Energiewende. Über die Flächenausweisung für Solar- und Windenergie entscheiden diese unmittelbar über den Erfolg energiepolitischer Vorhaben auf Bundes- und Länderebene. Auch der Gebäudebereich und der Verkehrssektor fallen in erheblichen Teilen unmittelbar in ihre Zuständigkeit. Allerdings wird die Transformation durch Budgetrestriktionen, dem flächendeckenden Personalmangel und mangelnder Erfahrung im Umgang mit den multiplen Krisen gebremst.
Wie können die Kommunen ihren wachsenden Aufgaben gerecht werden? Hier kommt wieder das Kompetenzzentrum ins Spiel, für das es eine Blaupause gibt. Die Innenministerkonferenz einigte sich jüngst auf ein durch Bund und Länder koordiniertes Kompetenzzentrum für Bevölkerungsschutz. Ein derartiges Zentrum ist die ideale Vorlage für ein vergleichbares Format, das sich der regionalen Energiewende annimmt.
Das oberste Ziel eines jeden Kompetenzzentrums besteht im Informationsaustausch und der damit einhergehenden Chance, Allianzen zu schmieden. Das Sammeln sowie die zentrale Zusammenführung von Daten in Bezug auf die Energiewende bilden eine unerlässliche Voraussetzung für effektive und effiziente Maßnahmen. Daten markieren außerdem die Grundlage des so wichtigen Bereichs Forschung.
Um Innovationszyklen zu verkürzen, bedarf es einer Koordination der vielen verschiedenen lokalen und nationalen Forschungsvorhaben, um so einen fruchtbaren und hochfrequenten Erfahrungs- und Wissensaustausch zu ermöglichen. Nur wenn die so entstehenden Innovationen schnell und unbürokratisch in die Tat umgesetzt werden, erzielen sie den Einfluss, der auf dem Weg zur Klimaneutralität so wichtig ist. Hierzu benötigt es wiederum eine Struktur, die ein effizientes Koordinationsmanagement zwischen Bund, Ländern und Kommunen ermöglicht. Kurzum: Wir müssen unsere Bemühungen rund um die Energiewende besser organisieren und im Sinne der gemeinsamen übergeordneten Ziele in Einklang miteinander bringen. An einer koordinierenden Instanz, die Kommunen, Länder und den Bund gleichberechtigt berücksichtigt, führt dabei kein Weg vorbei.
Entscheidend wird es beim Aufbau eines Kompetenzzentrums für Klimaschutz sein, breite Akzeptanz zu gewinnen. Ein möglichst vollständiges Ensemble aus Vertrer:innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Forschung und Zivilgesellschaft kann dies gewährleisten. Klar ist es, dass die Bewältigung der gewaltigen Klimaherausforderungen einer konzertierten Anstrengung bedarf. Deshalb stehen Bund und Länder in der Verantwortung, dem entsprechenden Rahmen mit einem Kompetenzzentrum unter der Beteiligung der Kommunen Leben einzuhauchen.
Foto: ENTRNCE Deutschland
Erschienen bei: Tagesspiegel Background