Der Winter ist weitestgehend überstanden. Jetzt gehe es darum, die Energieversorgung für die kommende Heizperiode auf einem preisstabilen Niveau zu sichern. Dabei führe am konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien kein Weg vorbei. Der Handlungsdruck bei Stadtwerken sei dementsprechend groß, sagt Sven Neldner, Deutschlandchef beim Softwarespezialisten ENTRNCE. Das Momentum des überwundenen Winters sollte nun genutzt werden, um sich krisensicherer aufzustellen, argumentiert er in einem Gastbeitrag. Der Digitalisierung komme hierbei eine Schlüsselrolle zu.
Zwar ist es in den letzten Monaten gelungen die Dramatik der Energiekrise zu entschärfen, doch ist es für Hoffnungen auf langfristig günstigere Stromtarife definitiv zu früh. Vielmehr gehen kommunale Versorger von einer dauerhaften Verdopplung der Gas- und Stromtarife aus. Grund für die kurzfristigen Entlastungen sind Maßnahmen wie die Gas- und Strompreisbremse. Klar ist jedoch, dass die Energiepreisbremsen und Gewinnabschöpfungen als kurzfristige Entlastungsmaßnahmen in der Krise, nicht aber als Wegweiser einer Reform des Strommarkts verstanden werden dürfen. Nur eine solche, die den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien systematisch begünstigt, kann eine sichere, preisstabile und nachhaltige Energieversorgung garantieren.
Erste Weichenstellungen auf diesem langen Weg sind im ersten Quartal 2023 zu erwarten. Das Konsultationspapier der EU- Kommission bringt die verschiedensten Ansätze auf den Tisch. Auch Robert Habeck kündigte bereits an, dass Subventionen nur bis Ende der 2020er Jahre möglich seien und eine entsprechende Reform des Strommarktdesigns im Angesichte der aktuellen sowie in Erwartung der künftigen Krisen nicht mehr lange auf sich warten lassen sollte.
Die EU legt vor
Die EU-Kommission folgt in ihren jüngsten Vorschlägen zur Reform des Strommarktdesigns größtenteils dem Non-Paper von Mitte Dezember 2022. Im Kern zielen die diskutierten Ansätze darauf ab, erneuerbare Energien ins Zentrum des Markts zu rücken und Strompreise für Verbraucher weniger stark von kurzfristigen Kosten für Gas und Öl abhängig zu machen. Langfristige Verträge wie PPAs sollen den Erzeugern konstante Einnahmen sichern und die Verbraucher vor rapider Preisvolatilität abschirmen. CFD sollen zwar auch in den Markt integriert werden, doch liegt die Priorität im Konsultationspapier der EU klar auf PPAs. Die Abschöpfung außergewöhnlich hoher Gewinne soll bei rückwirkendendem Eingriff in die Vergütung von Bestandsausagen weiterhin nur ein Instrument der Krisenbewältigung, aber kein Dauerzustand sein.
Nicht nur große Industrieunternehmen, die extrem viel Energie verbrauchen, sondern auch KMU sollen sich besser gegen kurzfristige Preisschwankungen absichern können. Staatliche Kreditbürgschaften für das Pooling von PPAs könnten diesem Zweck dienen. Darüber hinaus findet sich im Konsultationspapier der Kommission der Vorschlag, große Industrieunternehmen sowie Energielieferanten dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Portfolios über PPAs zu beschaffen.
Unterm Strich gilt es festzuhalten, dass der ganz große Wurf in Sachen Strommarktdesign von Seiten der EU in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten ist. Das ist eine vergebene Chance. Nun wird es darauf ankommen, die guten Ansätze aufzugreifen und auf nationaler Ebene konkret umzusetzen. Denn am Ende sind kleinere handfeste Weiterentwicklungen immer noch besser als große Ideen, die dem Bürokratieapparat zum Opfer fallen und nie in die Praxis überführt werden. Der finale Vorschlag für das neue EU-Strommarktdesign soll im März vorgestellt werden.
Und was macht Deutschland daraus?
Bei ihrem Antritt hat die Bundesregierung ein klimaneutrales Stromsystem als Ziel definiert. Bis 2030 soll dafür der Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung auf mindestens 80 Prozent gesteigert werden. Die angestrebte Elektrifizierung von Industrie, Transport und Wärmeversorgung wirkt sich hingegen, selbst bei moderaten Prognosen, erheblich auf den Stromverbrauch aus. Laut eines Impulspapiers der Denkfabrik Agora Energiewende könnte sich der Stromverbrauch bis 2030 auf 650 Terrawattstunden erhöhen. Zur Einordnung: Laut Bundesnetzagentur lag der Verbrauch 2021 noch bei 503,8 Terrawattstunden und der Anteil des aus erneuerbaren Energien gewonnenen Stroms bei 42,8 Prozent. Die Kombination aus notwendigem Ausbau der Erneuerbaren sowie dem stark steigenden Strombedarf unterstreicht die Unabdingbarkeit einer Reform für Europas größten Strommarkt. Dies bestätigt auch eine Expertenumfrage der Reiner Lemoine Stiftung laut der 93 Prozent eine Reform des Strommarktdesigns als Voraussetzung dafür sehen, das Ziel eines klimaneutralen Stromsystems erreichen zu können.
Wie auch von der EU-Kommission postuliert, muss auch in Deutschland der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien im Zentrum der Bemühungen stehen. Dafür müssen sperrige Regularien vereinfacht, Bürokratie abgebaut und Innovationszyklen verkürzt werden. Außerdem müssen erneuerbaren Erzeugungsanlagen schnellstmöglich mit dem gleichen Status wie andere Kraftwerke in den Wettbewerbsmarkt integriert werden. Das fördert technologische Innovationen im Bereich der Erneuerbaren und schafft weitere Anreize für das Erreichen von Ausbauzielen.
Als Träger der Energiewende darf ferner an den Kommunen kein Weg vorbeiführen. Auf lokaler Ebene werden Ziele in konkrete Maßnahmen überführt – hier entscheidet sich die Energiewende! Die vielen bereits bestehenden lokalen Initiativen, die zeigen was mit Engagement und Ausdauer bei der Energiewende möglich ist, gilt es also stärker zu fördern und besser miteinander zu vernetzten. Der Aufbau eines Kompetenzzentrums lokale Energiewende, in dem die bestehenden Erfahrungswerte zusammengetragen und in einen fruchtbaren Dialog miteinandern gebracht werden, wäre in diesem Zusammenhang eine entscheidende Maßnahme.
Grundlegend ist davon auszugehen, dass auf nationaler Ebene in der näheren Zukunft am Modell des Energy-Only-Markt festgehalten wird, was der Abteilungsleiter Strom im Bundeswirtschaftsministerium Volker Oschmann kürzlich bestätigte. Zuletzt äußerte sich Robert Habeck aufgeschlossen gegenüber einem Marktdesign, bei dem ein Kapazitätsmarkt für fossile Kraftwerke und ein davon abgekoppelter Bereich mit Differenzverträgen für Ökostrom koexistieren. Dieses Modell würde vermutlich einen großen Regulierunsbedarf nach sich ziehen und damit den staatlichen Einfluss auf den Strommarkt weiter ausbauen. Die "Plattform Klimaneutrales Stromsystem" wird wohl Anfang März ihre Arbeit aufnehmen und einen nationalen Reformvorschlag erarbeiten. Eine Gelegenheit, die man nutzen sollte, um die Versäumnisse der EU wettzumachen. Die bisher schleppend voranschreitende Digitalisierung der Stadtwerke könnte ein wirkmächtiger Hebel sein, um die notwendigen Reformen schnell voranzutreiben und die Akzeptanz für die Energiewende zu steigern.
Digitale Plattformen leisten wichtigen Beitrag für den nachhaltigen Erfolg der Energiewende
Die Digitalisierung ermöglicht Stadtwerken und Kommunen ihre Schritte auf dem Weg zur Energiewende effizienter zu gestalten und erbrachte Erfolge öffentlichkeitswirksam nachzuweisen. Eine digitale Vernetzung zwischen Verbrauchern, EE-Produzenten und Stadtwerken erleichtert den Zugang zu erneuerbaren Energien aus der Region. Digitale Plattformen ermöglichen eine transparente Kommunikation der Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse und können so die Zustimmung innerhalb der Bevölkerung beeinflussen. Digitale Plattformen erbringen anlagenscharfe Nachweise darüber, woher Stadtwerke ihre Energie beziehen, wie sich die Energiepreise zusammensetzen und wie grün der Erzeugungsmix tatsächlich ist. Mit gesteigerter Transparenz, erhöhter Sichtbarkeit und einem mehr an geteilter Verantwortung werden die Entscheidungen kommunaler Akteur und die Flächenbereitstellung für erneuerbare Energien besser nachvollziehbar. Die Digitalisierung ist Dreh- und Angelpunkt, um zusätzliche EE-Kapazitäten mit der Unterstützung der Bevölkerung an das Netz zu bringen und schlussendlich die Verbraucher langfristig, preisstabil und planbar mit bezahlbarem Strom zu versorgen.
Die Diskrepanz zwischen steigendem Stromverbrauch, Abhängigkeit der Grundversorgung von Importen, sowie den festgelegten Zielen bei der Energiewende sind nur mit klar formulierten Zielen und zukunftsorientierten Lösungen nachhaltig zu bewältigen. Neben der Reform des Strommarkt braucht es auf dem Weg zur Klimaneutralität Ansätze, die sämtliche Sektoren in den Blick nehmen. Das mittelfristige Ziel muss also darin bestehen, ein klimaneutrales Stromsystem in ein größeres klimaneutrales Energiesystem zu überführen. Die Digitalisierung der Stadtwerke nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein.
Sven Neldner berät seit mehr als 13 Jahren Unternehmen der Energiewirtschaft in den Bereichen IT & SCADA Systeme, Energiedatenmanagement und Handels- sowie Portfoliomanagementsyteme. In seiner aktuellen Rolle als Deutschlandchef bei ENTRNCE stehen die Herausforderungen der Stadtwerke und ihr fortwährender Anspruch, dem Wandel gerecht zu werden, und entsprechende digitale Lösungen im Zentrum seiner Arbeit.
Foto: ENTRNCE Deutschland
Erschienen bei: Zeitung für kommunale Wirtschaft am 21.02.2023